die kartoffel und ihre zulassung, oder auch nicht mehr
Erdäpfel im Wandel
20. September 2010, 16:09 der Standard Bernd Kajtna von der Arche Noah: "Wenn ein sogenannter Erhaltungszüchter aus wirtschaftlichen Gründen für das Anpflanzen, Vermehren und Gesundhalten einer Sorte nicht mehr Sorge tragen kann, verliert diese die Registrierung und fällt aus dem System." * Artikelbild: Wer direkt vermarktet, kann sich bei der Auswahl der Sorten an den Wünschen der Abnehmer orientieren. - Foto: APA/A3397 Gero Breloer Wer direkt vermarktet, kann sich bei der Auswahl der Sorten an den Wünschen der Abnehmer orientieren. Wo einst Sieglinde und Bintje den Markt beherrschten, sind es heute Pandora und Martina. Wer entscheidet, welche Sorten verschwinden und welche kommen? Ganz unten lagern sie. Wo es möglichst dunkel und kühl ist. Mit zwei Sorten sind sie vertreten: "festkochend" und "vorwiegend festkochend". Mit etwas Glück kann man eine dritte, "mehlige", finden - eine typisch österreichische Bezeichnung, die angesichts der genormten EU-Etikettierungen allerdings mittlerweile Seltenheitswert hat. "50 bis 60 Erdäpfelsorten sind derzeit in Österreich zugelassen", weiß Michaela Schwaiger, Abteilungsleiterin für Obst, Gemüse und Spezialkulturen im Lebensministerium. "Aber nur acht bis zehn Sorten erreichen die Konsumenten über die großen Handelsketten", denn die meisten sind nicht massentauglich. Schwaiger: "Ein Kriterium ist, wie gut sich die Ware im Regal präsentiert. Eine Sorte kann geschmacklich sehr gut sein, aber wenn sie sich nicht lagern lässt, wird sie sich nicht durchsetzen." Massenproduktion oder Spezialisierung "Eine Zeitlang waren sie total out, heute sind sie wieder in - und nicht nur in Form von Pommes Frites", beobachtet Schwaiger das Auf und Ab des Erdapfels. Immerhin 56 Kilo verspeisen die Österreicher pro Kopf pro Jahr. Landwirte, die den Erdäpfelanbau en gros für Handel und Großhandel betreiben, müssen sich nach der allgemeinen Nachfrage richten. Wer direkt vermarktet, kann sich dagegen bei der Auswahl der Sorten an den Wünschen der Abnehmer orientieren. Durch die niedrigeren Erträge sind höhere Preise allerdings oft vorprogrammiert. So haben die sehr festkochenden Kipfler laut Schwaiger "einen sehr niedrigen Ertrag. Sie sind anfällig für Krankheiten und es gibt nur wenige Gebiete in Österreich, wo sie angebaut werden können". Eines davon ist das Waldviertel. Kampf um Linda Wo einst Sieglinde und Bintje den Markt beherrschten, sind es heute Pandora und Martina. Die Emotionen können hoch gehen, wenn es um das Aus für eine beliebte Knolle geht: Als der Lüneburger Züchtungskonzern Europlant die Kartoffel Linda Ende 2004 nach 30 Jahren von der Saatgutliste entfernen hatte lassen, weil er sie für krankheitsanfällig hielt, kämpfte der Freundeskreis "Rettet Linda" in Form einer umfangreichen Kampagne um die Neuzulassung. Mit Erfolg - seit Ende letzten Jahres darf Linda als "freie" Sorte von jedem Betrieb lizenzfrei vermehrt und vertrieben werden. Der Markt entscheidet Wer entscheidet, welche Sorten am Markt verschwinden und welche kommen? "Wenn ein sogenannter Erhaltungszüchter aus wirtschaftlichen Gründen für das Anpflanzen, Vermehren und Gesundhalten einer Sorte nicht mehr Sorge tragen kann, verliert diese die Registrierung und fällt aus dem System", setzt sich Bernd Kajtna in der "Arche Noah" für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt ein. "Natürlich ist es bei Erdäpfeln wie bei jedem Gemüse: Sorten lösen einander ab. Die verarbeitende Industrie sucht bestimmte Sorten aus, die Landwirte bauen sie an, aber letztendlich entscheidet der Markt." Lebendige Fortführung statt Archivierung Wenn eine Sorte ihre Registrierung verliert, kann sie nur dann weiter bestehen, wenn sich eine Genbank ihrer annimmt. "Das ist eine schwierige Aufgabe, weil es bei Erdäpfeln keine Samen gibt", erzählt Kajtna aus der Praxis der Arche Noah, die in Kooperation mit Biobauern Jahr für Jahr etwa 200 einst bedeutende, jetzt ausgestorbene Erdäpfelsorten auspflanzt, pflegt, erntet und vermehrt . Das Hauptaugenmerk liegt dabei nicht auf Archivierung, sondern auf einer lebendigen Fortführung des Kulturgutes. "Die kulturelle Leistung soll erhalten bleiben und die Vielfalt in die Landwirtschaft gebracht werden", betont Kajtna. Vielfalt ist auch Voraussetzung für die Gewinnung neuer Sorten. Bauern, die sich auf alte Sorten spezialisieren, beziehen die Pflanzen aus der Arche Noah und schaffen sich damit ein Standbein abseits der industriellen Produktion. Die Nachfrage ist im Steigen begriffen. So hat sich etwa die niederösterreichische Region Lainsitztal auf Raritäten spezialisiert und ist für ihr Engagement mit Auszeichnungen vom Kuratorium Kulinarisches Erbe Österreich und Agrarmarkt Austria (AMA) gewürdigt worden. Bio trifft Slow Food Violetta, Muresan, Pinki und Cyclamen, Highland Burgundi Red, Edzell blue... Auch die Stadt Wien bemüht sich um beinahe vergessene Erdäpfel. 2009 hat sie ein Projekt zu ihrer Rettung initiiert und in Zusammenarbeit mit Slow Food Wien und der Arche Noah Pflanzen auf den Bioflächen der Stadt Wien angebaut. 500 Tonnen Bio-Erdäpfel werden jährlich auf den Flächen der Stadt Wien geerntet. 2010, im internationalen Jahr der Artenvielfalt, forciert man den Anbau. Die Stadt Wien nimmt in der biologischen Landwirtschaft eine Vorreiterrolle ein. Als das Stadtgut Lobau/Essling 1987 auf biologische Bewirtschaftung umsattelte, zählte es zu den Pionieren. Heute gilt die Stadt Wien mit rund 1.000 Hektar Biofläche als eine der größten "Biobäuerinnen" Österreichs. (tin, derStandard.at, 20. 09. 2010) Adressen: Arche Noah - Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt & ihre Entwicklung "Erpfiregion" Lainsitztal Institut für Kartoffel & Pflanzengenetische Ressourcen der Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) Sortenbeschreibungen vom Bundesamt für Ernährungssicherheit The European Cultivated Potato Database Das International Potato Center in Lima ist die weltweit größte Gendatenbank mit rund 100 wilden und 3.800 in den Anden kultivierten Kartoffelsorten. |
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