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Zirbelstube, Stuttgart
Unkraut ist eine Pflanze, deren Tugenden noch nicht entdeckt wurden" hat der amerikanische Schriftsteller Ralph Wado einmal formuliert. Auf den ersten Blick ein vielleicht unpassendes Zitat in Verbindung mit Gourmetgastronomie. Doch nach dem vergangenen Wochenende sind wir uns nicht mehr in Gänze sicher, ob Bernhard Diers nicht auch aus diesem Gewächs eine Köstlichkeit zubereitet hätte. Selten haben wir in der letzten Zeit einen Küchenchef erlebt, der bei der Frage nach dem magischen "Wie" seiner Gerichte nicht über den eigenen Werdegang und die Zeit in den 80er Jahren philosophiert, sondern als einleitende Worte ein Kurzreferat zu einigen Dutzend verschiedenen Kräutern und Gewürzen, deren Zusammenwirken und die Bedeutung für die eigene Küche hielt.
Im Unterschied zu vielen anderen Köchen, die ihre Kreation und das daraus entstehende Kunstwerk in den Fokus ihrer Arbeit stellen, macht Diers die Zutaten, deren geschmackliche und ernährungswissenschaftliche Wirkung und den maßvollen Einsatz einzelner Komponenten zu den Stars seiner Arbeit und behält damit Recht. Denn: Was simpel klingen mag, stellt in der von Diers dargebotenen Form die perfekte Symbiose zwischen den von Michelin oftmals hoch gelobten schweren Gerichten der französisch-orientierten Küche und den zweifelhaften Trends und halbherzigen Versuchen einiger Gastronomiebetriebe, wellnessorientiertes Essen zu bereiten, dar.
Eindrücke vom Porzellan
Ansprechende und vor allem viel versprechende Amuse Bouche ließen einen großen Abend erwarten; gefolgt von dem Dreierlei der Gänseleber wurde diese Hoffnung übererfüllt. Die Variation in Schokolade war unerwartet, durchaus experimentell und konnte am Tisch nicht polarisierender wirken. Trotzdem waren sowohl Schokoladen-Liebhaber wie auch Gänseleber-Fetischisten begeistert, wodurch eine Schnittmenge entstand, die annähernd alle Gäste in sich vereinigte.
Auch die bretonische Rotbarbe wusste zu begeistern, allerdings kämpfte sie mit einer perfekt geschmorten Nektarinen-Chili-Komposition um die Vorherrschaft auf dem Teller, sodass sich der Fokus des Interesses mehrmals verschob. Durch diplomatisches Geschick konnte der "Dialog von Taube und Wachtel" den Sprengstoff jedoch aus der Diskussion nehmen - der folgende Rehrücken als Hauptspeise konnte somit nicht nur bloß als einvernehmlicher Kompromiss, sondern als vollends überzeugendes Kunstwerk gewertet werden.
Der bis dato äußerst begeisterte Genießerkreis wurde kurzzeitig von einem zu dominant geratenen gratinierten Ziegenkäse auf Walnussbrot verunsichert. as anschließende Limettensorbet war handwerklich zwar gut, jedoch wenig überraschend, was vielleicht als dramaturgische Finesse begriffen werden muss, da nun die Offenbarung des Abends ins Haus stand: Bernhard Diers spielte mit dem Pistazienparfait und den glasierten Holunderblütencanneloni auf einem Mosaik von Erdbeergelee unerwartete Trümpfe aus, die wenige Brigaden in Deutschland zu leisten im Stande sind. Patisserie in Vollendung!
Der Lauf des Lebens
Aus Diers bisherigen Wirkungsstätten resultieren bereits fünf Michelin-Sterne: zwei konnte er im "historischen Gasthaus Schwanen" in Haigerloch erkochen, den er zusammen mit seiner Frau in Eigenregie führte und nach eigenen Angaben auch die prägendste seiner zahlreichen Stationen war. Zwei weitere der begehrten Auszeichnungen erhielt er im "Marstall" in München, wo er allerdings nur 1 1/2 Jahre tätig war. Der fünfte und bis dato letzte wurde ihm für aktuelle Verdienste in der Zirbelstube verliehen, einem Restaurant der für ihre vorzügliche gastronomische Prägung bekannten Althoff-Hotellerie. Diers hat in diesem illustren Kreise sicherlich mit der Tatsache zu kämpfen, dass man sich auf die beiden Königskinder Wissler und Müller konzentriert, die sich im fernen Bergisch Gladbach jeweils drei Sterne erkocht haben und somit mit Ruhm, Ehr und Rosen überschüttet werden.
Nun wäre es vermessen, Diers Arbeiten, die mit 18/20 Punkten im Gault Millau durchaus gewürdigt werden, als optimierungswürdig zu bezeichnen. Es stellt sich jedoch die Frage, warum er sich bisher mit einem Stern "begnügen muss". Vielleicht ist es eben dieser Druck, den man Diers von Zeit zu Zeit anmerkt. An der einen oder anderen Stelle findet sich ein Element, das sein Kunstwerk "stört". Das Gazpaccio zum hervorragenden Langustino schien uns ebenso unnötig wie die Avocadochips auf der Rotbarbe.
Die handwerkliche Zubereitung seiner Waren ist zweifellos ohne Fehl und Tadel und tangiert problemlos den Zwei-Sterne-Bereich der vom Guide Michelin errichteten Hürden. Diers hat ein perfektes Verständnis seiner Waren, er kocht unaufgeregt und teamorientiert an den Tisch. Zurück zu den Wurzeln gilt daher nicht nur für die Warenkunde: Diers war immer dann am stärksten, wenn er frei und unprätentiös mit Leib, Seele und Kräuterkarten aus sich heraus gekocht hat. Insbesondere seine viel gerühmte Arbeit im "Schwanen" zeigt, dass dies die Wurzeln seines Erfolges sind.
Man könnte Bernhard Diers für den Hattrick nun viel Glück wünschen, das er aber nicht braucht! Wenn er seinen konsequenten Ansatz auch im Finishing der Gerichte durchsetzt, dann steht seinem wiederholten Aufstieg unter die TOP10 der deutschen Restaurantlandschaft nichts im Wege. Denn auch dies gilt festzuhalten: Diers Speisen in Kombination mit dem Wirken der Sommeliere Daniela Schur stellen ein unvergleichliches Geschenk dar. Wie die noch junge Daniela Schur frohgemut, präzise, mit wenigen aber den richtigen Details unser Essen begleitete, passt so gut zum Auftritt der Küche, dass wir Diers und seine Brigade gerne auch nach dem 10. Gang noch in den nahe gelegenen Park geschickt hätten, um Wados Eingangsthese zu belegen. Eines ist sicher: Den korrespondierenden Wein dazu hätte Daniela Schur parat gehabt!
Früher fuhr man zur Erholung ins Grüne - heute liegt es direkt auf dem Tisch. In der Zirbelstube findet sich DIE Symbiose von Genusserlebnis und natürlicher Zubereitung. Unprätentiös, gesund, authentisch!
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