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Alt 25.04.2005, 15:17   #4
Karl
Gast
 
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AW: Aufruf zur Diskussion! Thema "Modernes Gourmet"

Hallo KingKreole,

deine Zeilen sind ermutigend und ich kann dich nur ermuntern, diesen Weg beizubehalten.
Wenn man in allgemeiner Form über die Gastromie schreibt, dann sieht man sich immer mit dem Dilemma konfrontiert, daß man einigen furchtbar Unrecht tut, die vom breiten Mainstream abweichen.
Meine Ausführungen sollten also immer mit dieser Grundsatzüberlegung im Hinterkopf gelesen werden. Was heute in der breiten Maße in Restaurants geboten wird ist im Grunde eine einzige Frechheit. Das fängt beim Preis an und hört bei der Qualität der eingesetzten Produkte sowie der Zubereitung auf.
Bevor nun der Sturm der Entrüstung losbricht noch einige Anmerkungen. Ich habe eine betriebswirtschaftliche Ausbildung und berücksichtige die anfallenden Kosten in meinen Überlegungen. Vom Wareneinsatz angefangen, über Gemeinkosten wie Strom, Gas, Wasser bis hin zu den Personalkosten, nebst Pacht. Viele Betriebe sind auch durch desaströse Brauereiverträge geknebelt und werden regelrecht ausgeblutet.
Ohne eigene Immobilie und ein entsprechendes finanzielles Polster würde ich mir selbst einen Gastrobetrieb heute nicht antun wollen.

Für einen "normalen" Gast und ein solcher bin ich bei einem Besuch in einem Restaurant halt auch, spielen diese Überlegungen allerdings keine Rolle. Der sieht was er geboten bekommt und was er dafür bezahlen soll, und hier ist seit der Euroeinführung eine dramatische Schieflage zu diagnostizieren.
Ich wähle stellvertretend mal drei Beispiele, um den Sachverhalt zu verdeutlichen:
1. In einem gut bürgerlichen Lokal hier vor Ort meint man für ein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat 14,90 Euro nehmen zu müssen, was bekanntlich knapp 30,- DM entspricht.
2. Bei einem "Chinesen" hier bezahlen ich für eine "Ente" Zubereitung xy zwischen 18,- und 22,- Euro.
3. Der "Italiener" meint für einen Teller Penne Arrabiata 8,50,- Euro nehmen zu müssen.

Schauen wir uns die Fälle mal aus meiner Verbrauchersicht an:
Im Fall des Wiener Schnitzels hat das Lokal sogar seine eigene Metzgerei, was die Sache nochmal billiger macht, als wenn er das im Großhandel beziehen würde. Wenn ich heute zu dem Metzger meines Vetrauens gehe, dann zahle ich für ein ordentliches Stück aus der Oberschale oder Nuß um die 5,- bis 6,- Euro. Den Kartoffelsalat können wir in der Kostenbetrachtung mal getrost außenvor lassen. Eine Spanne von über 200 Prozent im Vergleich zur Zubereitung am heimischen Herd - mir ist das der Spaß nicht wert. Wenn ich die "normale" Durchschnittsfamilie nehme, 2 Erwachsene + 1 Kind : 2x Schnitzel = 30,-
1x Kindergericht = 8,-
2x Bier 5,-
1x Limo 2,-
===
45,- Euro
Sorry, aber für eine solche Trivialität knapp 90,- DM auf den Tisch zu legen, halte ich für inakzeptabel.

Fall 2 : Der "Chinese" . Hier wirds noch derber. Ich unterstelle einfach mal, daß der Vetreter dieser Rubrik auf ein relativ teures Convenience-Produkt zurückgreift, statt die im Verhältnis billigere TK-Ente. Eine halbe Ente, vorgegrillt und vorgewürzt schlägt mit um die 5,- Euro zu Buche.
Den Rest, also Reis, Garnitur etc. können wir der Einfachkeit halber wieder weg lassen.
Wenn ich mal die Mitte aus den vorgestellten Preisen nehme, also 20 Euro dann habe ich eine Spanne von 400 Prozent. Aber Hallo ! Einen ordentlichen Schlag Glutamat gibt's noch als Morgengabe gratis dazu, eine echte Okkasion. Für das Geld mache ich mir zu Hause eine Ente a l'orange für mehrere Personen.

Und jetzt zum ungekrönten Spitzenreiter, unseren italienischen Vertreter.
Was ein Großgebinde Nudeln 10 oder 20 Kilo kostet brauche ich vermutlich nicht zu erwähnen.
Wenn ich das mal äußerst großzügig rechne, dann komme ich auf einen Wareneinsatz von 1,- Euro.
Ergibt in summa eine Spanne von 850 Prozent.

Wenn das alles jetzt wenigstens noch gut wäre !
Ich greife da mal auf unseren italienischen Vertreter zurück. Hier vor Ort gibt es, wie vermutlich überall - den "besseren" Italiener, den mit der gehobenen Speisekarte und natürlich auch den gehobenen Preisen. Es ist schon eine Weile her, da hatte der Gute "Minestrone" auf der Karte.
Gut 6,50 also 13,- DM sind zwar nicht gerade wenig für einen Teller Gemüsesuppe, aber was soll's.
Ich frage also den Kellner, ob die Suppe denn frisch sei - Si, si, selbstverständlich.
Gut also bestelle ich das.
Umso größer meine Überraschung als ich nach ca. 4 Minuten die Suppe auf dem Tisch hatte, nebenbei bemerkt nicht einen Teller, sondern eine kleine Suppentasse - ein vornehmer Laden eben. Das grenzt an Zauberei, oder doch nicht ?
Nach kurzem Antesten war die Sache schnell klar. Die ungleichmäßige Wärmeverteilung sowie das viel zu weiche Gemüse lassen nur einen Schluß zu: Vorgekocht, tiefgekült und Mikrowelle.
Darauf zur Rede gestellt große Aufregung und Empörung: Wir und Mikrowelle, nie und nimmer.
Meine Frage allerdings, wie man es in 4 Minuten schafft, das Gemüse so zu zerkochen blieb bis heute unbeantwortet.
Ich verzeihe einem Lokal fast alles, aber nicht, wenn man versucht mich zu verarschen.

Last but not least noch mein Lieblingsfall für gepflegte kulinarische Freuden. Auf die Nennung von Namen verzichte ich, man sei aber versichert, daß es wahr ist.
Einer der größten Kostenfaktoren in der Gastronomie ist ja bekanntlich das Personal, trotz der teilweisen Hungerlöhne. So ein Koch kostet eben durchaus Geld, Geld das man doch im Grunde sparen kann. Unser Beispiel - nachfolgend "Der goldene Löffel" genannt, hat da eine pfiffige Idee.
Statt eines teuren Kochs fliegt man in bestimmten Intervallen eine Kochbrigade über eine Zeitarbeitsfirma ein. Die Jungs machen sich behende an' s Werk und zaubern all die "Köstlichkeiten", die in den nächsten Wochen die Speisekarte zieren sollen.
Fertig angerichtet marschiert das dann in die Schockfrostung und die Brigade rückt wieder ab.
Einen Koch braucht es jetzt eigentlich nicht mehr - vielleicht noch für' s Kurzgebratene.
Stattdessen genügt ein "Aufwärmer" der die Leckereien zu Schichtbeginn in den Konvektomaten wuchtet und dann einige Stunden später, wenn die ersten Gäste eintrudeln, das obligate Salatblatt plaziert.
Für die Kosten - und Gewinnmaximierung des "Goldenen Löffel" ist das sicher eine 1a Idee, für den Gast eher nicht. Warum ich für eine solche Krankenhaus- oder Kantinenküche die exorbitanten Preise zahlen sollte, die im "Goldenen Löffel" dann dafür gefordert werden, bleibt unbeantwortet.

Mit den geschilderten Fällen will ich eines sagen: So wird man sich über kurz oder lang das Geschäft selbst ruinieren. Wenn ich essen gehe, dann will ich Qualität. Stimmt die Qualität, dann zahle ich dafür auch gerne ordentliche Preise.
Für das hier geschilderte zahle ich keinen müden Euro, weil ich solche Lokale nach einmaligem Besuch nicht mehr betrete.

Gruß
Karl
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