Paris (dpa) - Durch den geschlossenen Kreis gefeierter Sterne- Restaurants in Frankreich weht ein frischer Wind. Starkoch Alain Senderens, 65, Herrscher über das berühmte «Lucas Carton» an der Madeleine in Paris, ist das jüngste Beispiel für eine Neuorientierung.
Die Haute Cuisine will weg von elitären Hummerschwänzen und Beluga-Häppchen und hin zu Sardinen oder Blutwurst. Der Meister, der seit 28 Jahren mit drei Sternen im Gourmet-Führer «Guide Michelin» bedacht wird, gibt diese höchste Auszeichnung zurück und will sich auf eine einfachere und preiswertere Küche besinnen. «Zu stressig, zu teuer und kaum rentabel» sei die Sterne-Kocherei. Außerdem «ist es nicht mehr zeitgemäß, wenn sich drei Kellner um einen Gast kümmern».
«Ich habe die Lage analysiert, in Frankreich und in Europa. Die Gesellschaft verändert sich überall, aber Frankreich ist zu konservativ», erklärt er. Senderens ist nicht der erste, der sich gegen die Diktatur der Sterne auflehnt. Vor ihm hat das Restaurant «Aux Armes de France» im elsässischen Ammerschwihr auf seinen Stern verzichtet, aus Kostengründen, wie die Chefin Simone Gaertner sagte. Auch einer der ganz großen Namen am Koch-Firmament, Joel Robuchon, hat 1996 seinen exklusiven Drei-Sterne-Tempel aufgegeben, um seine Gäste neu zu begrüßen - hinter einer Theke und mit schmackhaften, aber bodenständigen Gerichten.
Den Meisterköchen ist keineswegs die Lust an ihrem Beruf vergangen. Sie kritisieren damit auch nicht das Sterne-System des Gourmet-Führers. Ohne den «Guide Michelin» wäre «die französische Küche heute nicht, was sie ist», gesteht Senderens. Die Auszeichnung hat ihnen in den vergangenen Jahren zwar eine Last der Verantwortung aufgebürdet, hat ihnen aber gleichzeitig auch Prestige und Umsatz gebracht. Das tragische Schicksal des Spitzenkochs Bernard Loiseau aus dem Burgund, der sich wegen einer drohenden Herabstufung mit seinem Jagdgewehr das Leben nahm, bleibt ein Einzelfall.
«Ich möchte einfach eine andere Küche anbieten», sagt Senderens. Nicht mehr 300 Euro soll ein Essen in Zukunft bei ihm kosten, sondern nur noch 100 Euro. «Statt Seebarsch eben auch mal Sardinen, und davon eine anständige Portion». Die Zeiten großer Teller, auf denen neben einem Morchel-gewürzten Stück Gänseleber eine kleine Handvoll fein gedünsteter Gemüsestreifen ruhen, lässt Senderens hinter sich, wenn im Herbst sein Restaurant unter neuen Vorzeichen wieder öffnet.
Auch Gourmet-Kritiker gestehen, dass die hohe Kochkunst ein außerordentlich stressiges Geschäft ist, das auch noch einem scharfen Wettbewerb ausgesetzt ist. «Die Zahl der Köche nimmt zu, die es immer weniger zu schätzen wissen, Jahr für Jahr von einem Restaurant-Führer beurteilt zu werden», schreibt der Koch-Experte des »Figaro».
«Es sind hauptsächlich Spitzenhotels, die sich heutzutage noch eine Haute Cuisine leisten können», sagt Senderens. In der Tat wird die exquisite Kochkunst immer mehr zu einer Sache von Managern und Unternehmern. Das zeigt Meisterkoch Alain Ducasse mit Restaurants in Paris, Monaco und New York. Ducasse gibt Kochbücher heraus, kümmert sich um die Fortbildung des Nachwuches und ist längst zum Manager geworden, der seinen Küchenchefs nur noch aus der Ferne auf die Finger schaut.
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