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Alt 04.07.2009, 14:59   #1
knorhan
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Unglücklich Die Linda wird Beerdigt

Die Linda wird Beerdigt.
Es geht doch nichts über eine festkochende, goldgelbe Kartoffel. Und wenn sie dazu noch den schönen Namen Linda trägt, schmeckt es umso mehr.
Die Familie Hölck betreibt in der 3. Generation einen landwirtschaftlichen Betrieb, der sich auf den Anbau von Kartoffeln spezialisiert hat. Die Kartoffeln, die u. a. mit dem Namen „Küsten-Knolle“ vermarktet werden, haben sich bereits zu einem Markenprodukt entwickelt. Auf zirka 40 Hektar pflanzt der diplomierte Landwirt Thorsten Hölck sein gutes Stück an, und beliefert die hiesigen Märkte und Gastronomie mit dem hauseigenem Lkw das ganze Jahr.
Von der Ernte bis hin zur Verpackung betreut die Familie den Ablauf selber, denn die Aufbereitungs- sowie Lagerhalle liegen direkt auf dem Hof. Dabei werden die Kartoffeln schonend gerodet, abgebürstet und in klimatisierten Räumen gelagert, später von Hand verlesen, bevor sie zur Abwiegung in 2,5-kg bis 25-kg Säcke gefüllt werden.
Das Nordseeklima und der fruchtbare Boden tun ein Übriges, um die Küsten-Knolle zu einer qualitativen und geschmackvollen Kartoffel werden zu lassen.
Hell und glattschalig goldgelb und festkochend, unverwechselbar im Geschmack, so frisch wie eine Meeresbrise, direkt vom Küstenland in die Verbraucherhand.
Bedingt durch die Gesundlage an der Nordseeküste Dithmarschens ist ein natürlich geringer Krankheitsdruck durch Pilze oder Virus übertragende Läuse gegeben, sodaß auf diesem Standort neben der Speisekartoffel auch Pflanzkartoffeln für Inland und Export vermehrt werden.
Der junge fruchtbare, steinfreie Marschboden verleiht der Knolle eine helle und glatte Schale - denn auch das Auge genießt mit. Und der natürlich hohe Nährstoffgehalt des Bodens macht die Knollen zu geschmacklichen Delikatessen.
Rettet die LINDA
Seit 1974 gibt es die Kartoffelsorte LINDA, die Königin der deutschen Kartoffel. Ab dem 01.01.2005 wird sie nicht mehr in der Bundessortenliste geführt. Fa. Böhm / Europlant hat für die LINDA, für die sie den Sortenschutz bis 31.12.2004 hatte, kurz vorher die Zulassung (die bis 2009 lief) zurückgenommen. Da nur der Sortenschutzinhaber in der Sortenschutzzeit die Zulassung verlängern kann oder jederzeit die Zulassung zurückziehen darf, konnte durch diesen Trick die Zulassung nicht rechtzeitig vor dem 01.01.2005 von jemand anderem wieder beantragt werden. Fa. Böhm / Europlant hat kein Interesse mehr an der LINDA, da sie ihre Neuzüchtungen mit Lizenzgebühren auf dem Markt vertreiben möchten. Da steht LINDA in eigener Konkurrenz.

Vom Biolandhof Ellenberg haben wir für den Lindafreundeskreis einen Antrag auf Wiederzulassung der Kartoffelsorte LINDA beim Bundessortenamt gestellt und hoffen auf eine Genehmigung. Dort gibt es aber nur Antragsformulare für Neuzulassungen, wonach die LINDA neu geprüft werden soll. Dieses kostet Zeit und Geld, was unsinnig ist, denn die beste Prüfung war der 30 - jährige Anbau mit steigendem Verbrauch.

Nach unserem Antrag beim Bundessortenamt die Auslaufzeit der Linda, die bis zum 30.06.2005 lief, weiter zu verlängern, hat das Bundessortenamt am 09.05.2005 die Auslaufzeit bis zum 30.06.2007 verlängert. Das berechtigt die Linda Kartoffeln im Jahr 2005 und 2006 als Pflanzgut zu produzieren und nach einer positiven Anerkennung als Pflanzkartoffeln zu verkaufen. Ein jedermann kann dies tun, so haben wir es auch gemacht, da die Linda Kartoffel jetzt keinen Sortenschutz mehr hat.

Auch Europlant hat LINDA zur Pflanzgutanerkennung angemeldet. Gleichzeitig haben sie einen Widerspruch beim Bundessortenamt zur weiteren Verlängerung der Auslaufzeit eingereicht, welcher klar vom Bundessortenamt zurückgewiesen wurde.

Danach klagte Europlant beim Verwaltungsgericht Hannover mit einer Millionenklage gegen das Bundessortenamt. Das Verwaltungsgericht wies diese Klage am 25.08.2005 zurück, welches ein weiterer Etappensieg für LINDA ist.

Gegen die mit uns kooperierenden Bauern, die LINDA-Pflanzkartoffeln anbauen, wurde von Europlant beim Schiedsgericht für Saatgut und Sortenschutzstreitigkeiten bei der LWK Hannover Klage erhoben. Dieses Schiedsgericht entschied am 27.07.2005 das die drei Bauern die Linda-Pflanzkartoffeln nur unter Kontrolle eines Sachverständigen roden und einlagern dürfen. Nicht eine Knolle dürfe gegessen oder als Pflanzkartoffel in den Handel gebracht werden, bis das Oberschiedsgericht in Celle im Oktober genau entscheidet. Hier werden elementare Grundsätze am geistigen Eigentum für die Allgemeinheit in Frage gestellt.

Mittlerweile sind die Kartoffeln unter Kontrolle gerodet, eingelagert und in den Kartoffelscheunen verplombt worden. Am 30.09.2005 fand in Celle beim Oberlandesgericht eine Gerichtsverhandlung statt. Dort wurden von den Richtern zunächst die rechtlichen Streitpunkte abgewogen. Besonders problematisiert wurde auch die Frage, ob das Schiedsgericht der Landwirtschaftskammer Hannover überhaupt die Beschlagnahme der LINDA Kartoffeln der drei Linda-Vermehrern hätte beschließen dürfen. Zum Abschluss wurde ein möglicher Vergleich angesprochen. Die Parteien mögen bis zum 04.11.05 einen Vergleichsvorschlag dem Richter anbieten. Falls dies nicht passiert, wird das Gericht das Verfahren fortsetzen und eine Entscheidung am 01.12.05 verkünden.

Am 14.11.05 schlossen die Linda Bauern und Europlant nach Fristverlängerung einen Vergleich und teilten es dem Oberlandrgericht in Celle mit folgenden Kernpunkten mit:
• Die Beschlagnahme wird aufgehoben.
• Die Aufbereitung der Kartoffeln findet auf den Höfen der Bauern statt.
• Die Landwirte übergeben die streitigen Kartoffeln an Europlant, nachdem Europlant zugesagt hat, diese als Pflanzkartoffeln 2006 in Deutschland zu vermarkten und zu marktüblichen Preisen zu verkaufen. Europlant nutzt somit die vom Bundessortenamt festgesetzte verlängerte Auslauffrist bis 2007.


Im Frühjahr 2006 konnten die Landwirte Linda Pflanzkartoffeln kaufen und auf den Feldern pflanzen. Diese werden von August bis Oktober geerntet und als Speisekartoffeln verkauft.
Im Jahr 2006 wurde Linda bei der Pflanzkartoffelanerkennung angemeldet und bei guter Pflanzgutqualität kann Linda als Pflanzkartoffel für das Jahr 2007 verkauft werden.

Dieses ist ein weiterer Etappensieg der Linda Kartoffel und ist dem Freundeskreis Rettet Linda und ihren Freunden zu verdanken. Somit bleibt Linda erstmal 2 Jahre auf dem Markt und wir können uns auf die Neuanmeldung beim Bundessortenamt konzentrieren. Der Rettet Linda Kampf geht also weiter.

Beim Bundessortenamt wird die Linda auf Grund unseres Antrages auf Neuzulassung geprüft. An vielen Standortenwurde sie 2006 und 2007 geprüft. Im Jahr 2008 findet noch eine Identitätsprüfung statt, wonach im Herbst 2008 mit einem Bescheid über die Zulassung oder Nichtzulassung zu rechnen ist. Dieses Prüfverfahren wird bei allen neuen Sorten angewendet und bei guten Prüfergebnissen werden diese Sorten neu zugelassen.
Leider hat uns das Bundessortenamt in Hannover auch Ende 2008 keine Entscheidung mitgeteilt, ob Linda eine Neuzulassung erhält. Im Prüfstandort des Bundessortenamtes in Magdeburg wurden bei den Lindapflanzen zuviele Virosen festgestellt (14 von 66 waren betroffen) und dies entspricht nicht den Prüfvorraussetzungen. Amtliche Bescheinigungen von anderen Prüfstellen, dass die von uns gelieferten Lindakartoffeln gesund waren, wurden nicht berücksichtigt.

Linda wird also auch im Jahr 2009 weiter geprüft werden und es wäre möglich, dass im Herbst 2009 eine positive Entscheidung getroffen wird.

In Großbritanien wird im Juni 2009 entschieden, ob sie in deren Pflanzkartoffelliste aufgenommen wird. Wenn dies der Fall sein sollte, haben wir die Möglichkeit, die Linda zu reimportieren. In Holland wurde die Zulassung ebenfalls beantragt und vielleicht noch in einem anderen EU-Land.


Linda ist die Kartoffel des Jahres 2007.
Am 18. April 2007 wurde die Kartoffelsorte Linda im Museumsdorf am Kiekeberg bei Hamburg von einer Jury aus mehreren Umweltorganisationen zur Kartoffel des Jahres 2007 gewählt. (siehe Pressetexte).

Eine weitere Unterstützung, zum Beispiel das Sammeln von Unterschriften mit der Verbraucherzentrale Hamburg ist notwendig.

Da die "Rettet LINDA" Aktion auch Geld kostet, haben wir einen Fond eingerichtet und freuen uns über Spenden.

Auch ich bin ein fan der Linda, Aber:
Es gibt seit langen wieder tolle Sorten die wie die Linda festkochende Goldgelb und geschmacklich ganz hervorragend sind.
Ich halte diese Rettungsaktion für völligen Schwachsinn. Wann sollen den die anderen Sorten ihre Chance bekommen. Die ganze Diskussion ist völlig dramatisiert und in die verkehrte Richtung geführt worden. Das hat jetzt Gott sei dank ein Ende.
Küsten-Knollen weltweit begehrt
Mit der Zunahme des weltweiten Kartoffelverbrauchs entwickeln sich Saatkartoffeln aus Schleswig-Holstein zum Exportschlager. Nach Angaben der Landwirtschaftskammer in Kiel werden im Norden rund ein Drittel der Kartoffel-Äcker für die sogenannten Saatkartoffeln reserviert.

Die Linda ist Tot es Lebe die Kartoffel aus Dithmarschen.

Geändert von knorhan (04.07.2009 um 19:53 Uhr).
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Alt 07.07.2009, 23:30   #2
black-brown-white
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AW: Die Linda wird Beerdigt

hallo knorhan, ich bin nicht ganz deiner menung. anhand der linda wird ein problem aufgezeigt, dass nicht zu unterschätze ist. nämlich, dass viele esspflanzen registeriert und patentiert sind. dies wiederum bringt viele bauern in schwellenländern unter druck. die linda ist eine sehr gute kartoffel und ich finde es schade, auchw enn sie mit sciherhei nicht die beste aller ist. die essgewohnheiten der deutschen werden so langsam aber sicher manipuliert und keiner kann marktgerecht darauf bestehen eine linda zu erhalten. der schutz ist ausgelaufen und ansich wäre dies ein positives zeichen für viele, nur wie die geschichte zeigt ist es nicht ganz so einfach damit. ich jedenfalls sehe in dem eingriff eine aufsteigede gefahr, die bis hin zu monsanto führen kan, die dann den bauern das saatgut aufoktruiert, weil nur hybride ausgegeben werden. naturbezogener landbau wird so rechts chwer gemacht und die macht der lizenzinhaber ist enorm. bitte verstehe mich nicht falsch ich bin der letzte der den schutz auf geistiges eigentum aufheben will, lebe ja selber davon, aber es gibt einfach grenzen. die linda überschreitet sie bei uns, weil wir die kartoffel so gewohnt waren, aber in schwellenländern ist das saatgut ein echtes problem und eine ältere sorte wird wieder einmal über board geschmissen und neue kommen nach. dies kann recht rasch zu eienr ziemlichen notsituation führen, wenn eben nicht genügend ältere sorten da sind, um die sehr empfindlichen neusorten zu retten.
linda rückte diese problematik ein weng näher ins rampenlicht und so wird der ansonsten recht unkritische konsument ein wenig auf die lage aufmerksam gemacht. liebe gruesse:

bbw
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Alt 08.07.2009, 15:50   #3
knorhan
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AW: Die Linda wird Beerdigt

Ja ja verstehen schon aber überlege mal, die linda war, jedenfals hier im norden die kartoffel NR.1 da hätte keine andere je eine chance gehabt sich zu etablieren. und wenn es denn keinen sortenschutz geben würde, dann bin ich eigentlich voll deiner meinung. aber nun giebt es ihn und da sollen die anderen sorten auch eine chance haben. Die kartoffelbauern hier sind meist der gleichen meinung. gerade zertivizierte. Nun noch ein geheimniss. mein händler hat noch einen kleinen acker mit linda und ich bekomme sie wenn geärntet, noch. aber wir verarbeiten 10 bis 14 Sack in der woche und da muß ich ohnehin auf andere ausweichen. aber mein händler weiß seit über 12 jahren was ich möchte und so kann ich mich blind auf sein urteil verlassen. Ist übrigens auch in dem kochbuch bei der ersten kartoffelernte zu sehen waren dort mit marion und sie mußte einen alte trecker schieben. hat mit gut gefallen mit mir hintern steuer. Gruß knorhan
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Alt 09.07.2009, 11:02   #4
black-brown-white
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AW: Die Linda wird Beerdigt

lieber knorhan, ich bin genau für arten und sortenvielfalt. genau dieses problem zeigte sich aber gerade an linda. du hast recht der deutsche sollte auch die chance haben andere kartoffelsorten wählen zu können absolut, aber die maschinerei die hinter dem ganzen steht wurde eben durch linda, weil sie so beliebt ist offenbar und das ist das problem. ich kenn viele speisekartoffelsorten die linda sicherlich locker schaffen, aber sie ist eingeführt und der rgund warum sie nicht mehr auf dem markt kommen soll ist nicht so schön. ihr da oben habt die besten kartoffel, soviel steht fest. nur in peru und ecuador hab ich mehr auswahl und noch bessere gegessen, aber die zähen nicht, sind ja die herkunftsländer der urpflanzen. oder doch, die knollen von dort kriegt man die irgendwo angeboten? kann mich nicht erinnern, hab mich aber damit auch noch nicht beschäftgt, nur da gibt es sicher mehr als 100 sorten, locker, eher viel mehr. meine güte du verarbeitst aber viele kartoffel! mir sind die knollen auch fast die liebste beilage, je nachdem natürlich, aber mit den meisten geschälten reissorten kann man mich jagen. risotto ist was anderes, vorallem mit anderem reis. liebe gruesse:

bbw
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Alt 11.07.2009, 16:06   #5
knorhan
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AW: Die Linda wird Beerdigt

erst einmal ist es sehr schade wenn man geschälten reis benutzt, alleine schon aus gesundheitlichen gründen. aber die urkartoffeln habe ich hier auch noch nicht gesehen man bekommt nur mal bei den neuen kartoffeln einige aus dem ausland und den europäischen anreiner. War in allen von dir aufgezählten ländern, bin aber komischerweise nie auf den gedanken gekommen die kartoffeln zu essen, oder als Koch einzukaufen. aber man sugestiert mit diesen ländern eher andere beilagen und gerichte dabei haben die schon kartoffel gegessen als wir noch garnicht wusten was das ist.
gruß knorhan
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Alt 14.07.2009, 16:09   #6
knorhan
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AW: Die Linda wird Beerdigt

Volle Knolle
Von wegen Sättigungsbeilage! Kartoffeln werden von Gourmets und Sterneköchen hoch geschätzt.

Eine Warenkunde.
Vorsichtig beißt Freundin R. in das fingerdicke dampfende Ding, kräuselt die Lippen, rollt mit den Augen und ruft: „Ah!“ Freundin H. tut es ihr gleich und ruft: „Oh!“ Gemeinsam suchen sie nach Worten: so cremig, so buttrig, so mild! Sie essen Bamberger Hörnchen, gekocht auf dem heimischen Herd. Mit im Topf: Highland Burgundy Red, Blue Salad Potato und Shetland Black – exotische Kartoffelsorten, bestellt im Internet und teuer bezahlt, aber ein echter Genuss. H. probiert die Blue Salad Potato, fast enthusiastisch zerstückelt sie die blaue Knolle, sucht nach Resten von gelb, aber nichts da: Anthociane bringen das Blau in die Kartoffel, Farbstoffe, die auch Weintrauben oder Rotkohl dunkel färben. Ein bisschen wirken sie auf das Aroma: kräftig, würzig, aromatisch schmeckt die Knolle. „Total blau!“, sagt H., die eigentlich nie Kartoffeln kauft, sondern lieber zu Pasta greift. Womit sie ganz typisch ist. Die Beziehung der Deutschen zur Kartoffel steckt nämlich in der Krise. Dick, oll und fad, spielt die Knolle auf deutschen Tellern die Rolle des ungeliebten Ehepartners. Seit Jahrzehnten teilt man mit ihr den Tisch, aber wie viele Male hat man schon geklagt über ihre Blässe und Hartleibigkeit. Schon fast notorisch geht man fremd, nimmt sich die Nudel oder den Reis als Begleitung. Nur ein Mal im Jahr sucht man die Nähe der Knolle: jetzt, wenn der Spargel wieder sprießt. Dabei machen Experten längst vor, wie man in der alten Liebe wieder Feuer entfacht. Im Vox-Restaurant des Berliner Grand Hyatt Hotels zum Beispiel werden immer häufiger blaue Knollen serviert. „Kochen, zerdrücken, anbraten“, rät Küchenchef Andreas Bärenklau – und dann zum Fisch servieren. Eine kernige herzhafte Beilage. „Violettkartoffel“ steht auf der Karte, ein ausgedachter Name. Richtig heißt die Sorte „Blauer Schwede“, aber man fürchtet, die Gäste damit in die Irre zu leiten. Auch das Bamberger Hörnchen kann man übrigens im Vox probieren. Mit Schale, so dass es knackt beim Zerbeißen. „Erdig“, beschreibt Bärenklau den Geschmack. Dazu Kräuter anbraten, Butter, Salz und Zitrone – fertig, frisch und gut. Beliefert wird die Vox-Küche von Bauern aus dem Umland, die sich neuerdings auf alte Sorten spezialisieren. Das ist aufwendig und umständlich, gerade die kleinen Bamberger Hörnchen lassen sich mit Erntemaschinen nicht aus dem Boden holen, da wird per Hand gebuddelt. Aber den Gästen schmeckt’s. Und mit ihrem eigenwilligen Aussehen bringen die Kartoffeln Abwechslung auf den Teller. Außerdem sind sie gesund, sogar diätgeeignet, wie Starkoch Eckart Witzigmann sagt. „Ich liebe die Kartoffel sehr.“ Er wollte schon mal ein Buch schreiben über die medizinischen Qualitäten der Knolle – zusammen mit Heinz-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem Mannschaftsarzt des FC Bayern München und der Nationalmannschaft. Aus Zeitmangel ist daraus bisher nichts geworden, aber Rezeptideen hat Witzigmann doch noch schnell: Bamberger Hörnchen zu Lammragout und Frühlingsgemüse, oder mehlige Sorten zu Püree stampfen und im Ofen überbacken. Der niedersächsische Biobauer Karsten Ellenberg züchtet alte Sorten. Seine Mission: Die
Kartoffel soll Hauptspeise sein, nicht Beilage. Da!, knallt er einem die Liste seiner Kartoffelzüchtungen vor die Nase: Der Reichskanzler, rosa Schale, weißes Fleisch, mittelspätreifend, vom Geschmack her kräftig. Oder der Red Duke of York – rote Schale, gelbes Fleisch, eine schottische Frühkartoffel, die auch rotes Kraut produziert. Der Pink fir Apple (rosa Schale, gelbes Fleisch) kommt auch aus Schottland, hier zu Lande nennt man die cremige Knolle Rosa Tannenzapfen. Der Highland Burgundy Red, auch Red Cardinal genannt, ist außen knallrot, innen auch, oder weiß-rot marmoriert, gefärbt von dem Stoff, der auch Johannisbeeren erröten lässt. La Ratte, eine sehr kleine französische Kartoffel, nussig im Geschmack, gibt es in großen Kaufhäusern zu kaufen. Und der Blaue Schwede (blaue Schale, blaues Fleisch) wird in Skandinavien als Gemüsekartoffel angebaut. Ellenberg kreuzt moderne und alte Sorten, französische und südamerikanische, deutsche und englische und verschickt sie auf Anfrage . Viele alte Sorten existierten nur noch als Genprobe in der Kartoffel-Genbank in Lüsewitz bei Rostock. Hier holt Ellenberg farbliche und geschmackliche Zutaten für die ordinäre Kartoffel, einem Eheberater gleich, der zur verschmähten Gattin sagt, gehen Sie doch mal zum Friseur und ziehen Sie sich doch mal was Hübsches an, dann guckt Ihr Mann Sie auch wieder an. Wie flott die olle Knolle nach der Frischzellenkur daherkommt, kann man auch auf der Internetseite der Bielefelder Gärtnerei Naturwuchs nachlesen, die knapp 50 Sorten im Angebot hat. In Brandenburg bieten einige Landgasthöfe die „kulinarische Kartoffeltour“ an. Bunte Knollen gibt es dort nicht; der Blaue Schwede gedeiht nicht gut im leichten märkischen Sand, sagt Antje Kienow vom Gasthof Brandtsheide in Wiesenburg-Jeserig (Tel. 033849/7960). Dafür verblüfft man die Gäste mit Besonderheiten wie dem süßen Nachtisch aus zerstampften Kartoffeln mit Pflaumen, Marzipan und Mandelsplittern. „Die meisten Gäste kennen doch nur Salz-, Pell- und Bratkartoffeln“, sagt Antje Kienow. Biobauer Ellenberg greift auf der Suche nach dem richtigen Vergleich ins Alkoholfach: Kartoffeln seien wie Weine, wahre Delikatessen. Beide würden oft erst im Alter gut (weshalb Ellenberg jetzt zum Spargel anstelle der Frühkartoffel gut gelagerte Sorten aus dem vergangenen Jahr empfiehlt). Beide sind empfindliche Gewächse, die auf Bodenbeschaffenheit und Temperatur mit Geschmacksnuancen reagieren. Das Bamberger Hörnchen zum Beispiel hat es gerne warm. Es kommt aus dem süddeutschen Raum, 130 Jahre alt ist die Sorte, die heute offiziell keine mehr ist. Die Bamberger Hörnchen finden sich ebenso wenig in der offiziellen Kartoffelliste des Bundessortenamts wie der Reichskanzler oder der Blaue Schwede. Die Kartoffel hat einst Päpste und Könige beeindruckt – wegen ihrer Wirkung und wegen ihrer hübschen Blüten. Mitte des 16. Jahrhunderts aus den südamerikanischen Anden importiert, wurde die Knolle erst als Zierpflanze kultiviert. Friedrich II. machte die Kartoffel später zur Massenware, er päppelte mit den nährstoffreichen Knollen seine Soldaten. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer schlimmen Hungersnot in Europa, weil Krautfäule die Kartoffeln verdarb. Aus den Knollen, die das überstanden, gingen neue wehrhafte Sorten hervor. Auch heute wird an Kartoffeln gezüchtet. Sie sollen ertragreicher und schädlingsresistenter werden. In dieser Konkurrenz spielen die blauen und roten Spezialzüchtungen keine Rolle. Aber sie machen aus der Kartoffel wieder das, was sie mal war: eine bewunderte Exotin. Und so fangen auch die Freundinnen R. und H. an zu träumen: Wie wäre es mal mit einem bunten Kartoffelsalat? Oder einem blauen Püree?
Bestellungen bei Ellenberg unter www.kartoffelvielfalt.de; das Paket „Sieben Hobbykartoffeln“ mit je einer Knolle Bamberger Hörnchen, Blue Salad Potato, Roseval, Edzell Blue, La Ratte, Sieglinde, Shetland Black für fünf Euro. Gärtnerei Naturwuchs, Onlineversand über http://www.garden-shopping.de/shop/.../kartoffeln.pdf. Paket „Gourmetkartoffeln für Einsteiger“: sechs mal vier exotische Sorten für 13,90 Euro
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