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Alt 21.04.2006, 14:29   #1
black-brown-white
Erfahrener Benutzer
 
Registrierungsdatum: 22.06.2005
Ort: Kärnten
Beiträge: 1.199
Assembling wie in der Industrie und deren Folgen:

Dieses Schlagwort ist uns allen als unter anderem kapitalschonende Maßnahme vieler automotiver Unternehmen bekannt. Aber was hat dies mit einem Gourmetforum zutun?
Wie viele Restaurants greifen auf vorgegarte Halbfertigprodukte anderer Anbieter zurück?
Ob sie geschälte Kartoffel aus der Plastikfolie verwenden, Tiefkühlgemüse vorgeschnitten und vorgegart auftauen, oder dehydrierte Nahrungsmittel unterrühren, viele Gaststätten versuchen auf diese Weise Lohnkosten zu sparen, Wareneinsatz zu minimieren und Abläufe zu verkürzen. Diese Tatsache ist uns allen evident, doch nochmals die Frage: Was hat dies mit einem Gourmetforum zu tun?
Die Antwort hängt mit einem Grundprinzip wirtschaftlichen Handelns zusammen. Frage ich von einem Produkt mehr nach, sinken die Anschaffungskosten, wenn dies viele tun und entsprechende Ressourcen vorhanden sind, sowie ein entsprechendes Angebot vorhanden ist und weiterhin entsteht. Meist führt dies aber zum Verlust von Produktvarianz, sofern der dahinterliegende Grund die Kostenreduktion ist. Erst später entwickelt sich dann wieder ein breiteres Sortiment.
Gehen wir von der Kartoffel aus. Die Kartoffel ist bei uns mittlerweile heimisch und existieren gerade in Deutschland in einer gewaltigen Vielfalt an verschiedenen Sorten, noch.
Nachgefragt werden aber relativ wenige, meist schön anzusehende, haltbare Kartoffelsorten. Als Folge dessen wird die Produktion stärker auf diese konzentriert, was eine Stückkostenminimierung zur Folge hat. Andere Kartoffelsorten werden vernachlässigt und verschwinden zunehmend vom Markt. Sie sterben aus. Die verbliebenen Sorten werden dem Trend folgend zu dehydrierten Bratkartoffel verarbeitet, Kartoffelbreipulver, Chips, ...
Diese wiederum finden auch Verwendung in Gaststätten, die diese Halbfertigprodukte einsetzen. Alles konzentriert sich auf die sehr geringe Sortenvielfalt. Aufgrund der logisch vorausgesetzten Anbauoptimierung entstehen Anbaukonzentrationen, die sehr empfindlich auf Klimaschwankungen, Schädlingsbefall,... reagieren. Um dies beim Anbau zu vermeiden verwendet man verstärkt Gifte und sofern zugelassen gentechnisch veränderte Kartoffelsorten. Beide führen wiederum zu einer Einbahnstraße, da sie einerseits mögliche Nachbargewächse bewusst reduzieren und so störend in den Ökohaushalt eingreifen, andererseits handelt es sich, sofern erlaubt, um genetisch veränderte Kartoffel(glücklicher Weise noch nicht) die weniger an Gifteinsatz benötigen, den Säuregehalt optimieren und ewig haltbar sein könnten. Dies klingt ja eher positiv wird der geneigte Leser feststellen, aber sie sind zur besseren Kundenbindung ausschließlich Hybride. Jedes Jahr muss der Bauer die Lizenz und die Samen erwerben, ohne jemals aus diesem Kreislauf aussetzen zu können. Firmen, welche ein Patent auf eine Kartoffelsorte besitzen und diese noch dazu gentechnisch manipulierte hat ihre Abnehmer relativ abhängig gemacht. Diese könnten dann höchstens zu anderen derartigen Anbietern wechseln, weil viele Sorten ausgestorben sind und Rückzüchtungen unwirtschaftlich wären...... Die Sojaindustrie in Argentinien ist ebenfalls ein sehr gutes Beispiel hierfür. Die Kartoffel ist ein Volksnahrungsmittel, wohl erwähnt!
Meine Schlussfolgerung: je geringer die Produktvarianz, also die Sortenvielfalt ist, desto geringer wird langfristig die Qualität der Nahrungsmittel.
Welche Auswirkungen hat nun diese offenkundige Entwicklung auf Gourmetrestaurants?
Ganz einfach, konzentriert sich der Grossteil der Nahrungsproduktion auf billige Halbfertigprodukte, werden andere Sorten zur Mangelware und entsprechend nur dann überlebensfähig bleiben, sofern sich eine gewisse Marktchance dauerhaft erschließt. Viele Kartoffelsorten wären dann für immer vom Markt verschwunden und auch hier entwickelte sich zwangsläufig eine Sortenverarmung, oder und extreme Preise. Kartoffel könnten dann pro KG 8 Euro oder mehr kosten(Volksnahrungsmittel??, sofern man sie nicht aus Halbfertigprodukten der Billiganbieter bezieht. Diese allerdings werden den preis sicherlich auch nicht immmer unten halten wollen.
WIR SÄGEN AN DEM AST AUF DEM WIR SITZEN, ALLE SAMT!!!
Als Schokoladenhändler könnte ich hier genauso gut ein Beispiel aus der Kakaoindustrie anführen.
Auf lange Sicht jedenfalls, wird selbst der saturierteste Konsument kaum mehr an wirklich hervorragende Produkte und entsprechend Speisen gelangen. Auffallen wird ihm dies nicht, er kennt es ja nicht anders mehr!!! Dieser Prozess findet schleichend statt und recht unauffällig. Insofern hat diese Entwicklung auch mit unserem Forum zu tun.
Die aktuellen Gegentrends können nur soweit gegensteuern, soweit diese „Kartoffeln“ noch vorhanden sind. Rückzüchtungen, wie im Falle von Kakao erfordert sehr viel Enthusiasmus, Kapital und Marktchance. Anstelle der Kartoffel könnten viele andere Nahrungsmittel stehen.
bbw
black-brown-white ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.04.2006, 14:37   #2
Karl
Gast
 
Beiträge: n/a
AW: Assembling wie in der Industrie und deren Folgen:

Hallo bbw,

ein exzellenter, gut recherchierter Beitrag, dem ich nichts hinzuzufügen habe außer: Genau so ist es !

Gruß
Karl
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Alt 22.04.2006, 03:43   #3
KingKreole
Erfahrener Benutzer
 
Registrierungsdatum: 12.04.2005
Beiträge: 426
Frage AW: Assembling wie in der Industrie und deren Folgen:

Alles Klar! Und nun?
Ich habe hier meine Kartoffeln immer vom Bauern nebenan bezogen. Mal von dem, der festkochende - mal von dem, der die Mehligen anbaute. So, wie sie gebraucht wurden. Da ist mir nicht das Problem bewusst geworden. Liegt sicher daran, daß ich nicht in der Stadt lebe. Sicher muss man da kaufen, was der Markt hat.
Und über den Rest mit dem Gourmetforum - was es damit zu tun hat, muss ich erst noch nachdenken, da hinke ich leider nach. Glaubt es kein Mensch,daß es Köche gibt, die gerade dann die Kartoffeln schälen und kochen, wenn es die Bestellung verlangt? Dreht es sich nicht um Imbiß, dann warten doch Gäste gerne für die wahre Frischeküche-nach meiner Erfahrung!
DásWasser erst für die Nudeln aufstellt, wenn es boniert wird oder die Karotten erst geschält werden, wenn ein Salat damit bestellt wird? UND --UND--!!!
Ich fasse es nicht. Und sicher ist das der Knackpunkt, daß kein Gast mehr an die wirkliche Frischeküche glaubt. Ich will mich damit nicht loben, aber ich glaube weiterhin an mich und an meine Kollegen, die ebenso arbeiten und garantiert keine vorgekochten Katoffeln auf irgendeinen Teller legen.
LG.KingKreole

Geändert von KingKreole (22.04.2006 um 05:03 Uhr).
KingKreole ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2006, 04:18   #4
Bonito
Gast
 
Beiträge: n/a
AW: Assembling wie in der Industrie und deren Folgen:

Was sind denn automotive Unternehmer?

Geändert von Bonito (22.04.2006 um 04:24 Uhr).
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Alt 22.04.2006, 11:18   #5
Karl
Gast
 
Beiträge: n/a
AW: Assembling wie in der Industrie und deren Folgen:

@KK

Zitat:
Glaubt es kein Mensch,daß es Köche gibt, die gerade dann die Kartoffeln schälen und kochen, wenn es die Bestellung verlangt? Dreht es sich nicht um Imbiß, dann warten doch Gäste gerne für die wahre Frischeküche-nach meiner Erfahrung!


Ich glaube Dir das gerne !
Glaube Du mir umgekehrt, daß du damit einer Minderheit angehörst. Die große Mehrheit arbeitet nicht so.

Karl
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Alt 24.04.2006, 15:45   #6
black-brown-white
Erfahrener Benutzer
 
Registrierungsdatum: 22.06.2005
Ort: Kärnten
Beiträge: 1.199
AW: Assembling wie in der Industrie und deren Folgen:

Hallo zusammen, ich freue mich, dass es euch nicht so geht, aber leider wird es immer schwerer diesen Ausweg zu bestimmen.
Übrigens Automotive Industrie ist die Zulieferindustrie der Automobilindustrie.
Gerade Autobauer fügen die vorproduzierten Teile fast nur mehr zusammen. Diesen Vorgang nennt man Assambling. Entschuldigt bitte die Ausdrucksweise, da bin ich wohl zu geprägt von meiner früheren Tätigkeit.
Ich wollte mit diesem Artikel auf Zusammenhänge aufmerksam machen, die leider all zu oft übersehen werden, aber beträchtlichen Einfluss auf Nahrungsmittel ansich haben. Wenn dein Bauer, liebe Bärbel, beschließt nur mehr gentechnisch veränderte Kartoffelsorten anzubauen, dann kannst du noch auf andere ausweichen, wenn dieser aber Erfolg hat und seine Produktionskosten so senken kann, wie andere eben nicht, dann werden auch fast alle anderen nachziehen und dann gibst nur mehr gentechnisch veränderte Kartoffel. Ich dachte ihr bringt das Beispiel der Kartoffelsorte die kürzlich vom Patentinhabenden Unternehmen aus dem Markt gezogen werden sollte. Leider ist mir der Namen entfallen und ich weiß auch nicht wie das Ganze ausging. Dabei handlete es sich nicht umm gentechnisch veränderte Kartoffel, sondern einfach um eine neue Marktstrategie des Patentinhabers, andere Sorten zu vertreiben. Dei Sorten war sehr beliebt und wahrscheinlich aht sie den neuen Sorten, den Weg zum Markt versprerrt. Also kaufen rausnehmen und schon muss man sich um neue Kartoffelsorten kümmern.
So läuft der Markt jetzt schon, leider.
Auf den Kakao übertragen heisst das, dass wenn es nicht diese Gegenbewegung gäbe, die sich allerdings verschwindend ausnimmt, gegen die gesamten Produktionsmengen von Kakao, dann wird es wohl auf lang, oder kurz keinen Kakao mehr geben. Nicht nur den hochwertigen, welchen ich vertrete, leider nein, garkeinen mehr. Ausser man entwickelt bis dorthin gentechnisch veränderte Kakaosorten, die fast überall wachsen können, kaum Pflege brauchen und vorallem Schädlinge abwehrt. Kakao ist sehr empfindlich und daher permanetem Wandel unterworfen. Man muss, damit die Pflanzen überlebensfähig werden, mit anderen Sorten einkreuzen. Ausser man belässt sie in ihrer Nische, den Regenwald. Stellt euch ein Leben ohne Schokolade vor, oder eines, welches statt Kakao gehärtete Fette verwendet, die krebserregend sein können, wie bei den meisten Herstellern übrigens schon der Fall, zumindest teilweise. Für mich der reinste Horror. Schaut euch bitte mal die Zutatenliste der von euch gegessenen Schokolade an. Kommt da Butterreinfett vor, oder andere Fette, dann habt ihr schon solch ein Exemplar.
Ich wollte bewusst nicht so sehr auf die Schokolade eingehen, aber es handelt sich bei der Schokolade um eines der drastischsten Beispiele.
Das Aussterben vieler Pflanzen und natürlich auch Tiere machen unser System noch fragiler. Als Konsequenz greiffen viele Hersteller in die Genkiste, oder die mit Chemikalien. Dadurch beschleunigt sich aber bei vielen Arten nur noch das Absterben.
Hierin sehe ich ein enormes Problem.
Wen du, liebe Bärbel davon schreibst, dass am Land es leichter ist, gute Kartoffel zu bekommen, dann freut mich dies sehr. Ich habe in Hamburg tatsächlich manchmals das Problem, dass ich gutes Fleisch kaum kriege, gute Qualität bei vielen Gemüsesorten auch nicht. Mich tirfft diese Situation sicherlich härter, aber sie greift leider um sich. Profiköche in Hamburg haben sicherlich kaum mein Problem, aber als schlichter Konsument immer öfter.
Leider übertreibe ich nicht.
Schönen Gruß:

bbw
black-brown-white ist offline  
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